Worum geht es?
In einem Unternehmen waren laut Wählerliste 45 Personen weiblichen Geschlechts, 56 Personen männlichen Geschlechts und 17 Personen diversen Geschlechts für die anstehende Betriebsratswahl wahlberechtigt. Es standen zwei Listen zur Wahl.
Liste 1 umfasste drei Kandidaten. An erster und zweiter Stelle standen Männer und an dritter Stelle eine Frau. Liste 2 umfasste elf Personen, darunter an letzter Stelle eine Frau und auf den Plätzen zwei und drei Personen diversen Geschlechts. Der Wahlvorstand erklärte im Wahlausschreiben, dass sich mindestens eine Person der Minderheitengruppe divers unter den zu wählenden Betriebsratsmitgliedern befinden müsse. Nach der Wahl des siebenköpfigen Gremiums stellte der Wahlvorstand in der Niederschrift über das Wahlergebnis fest, es seien wegen des gesetzlich vorgesehenen Schutzes des Minderheitengeschlechts aus Liste 1 zwei Männer und aus Liste 2 drei Männer und zwei Personen diversen Geschlechts gewählt worden. Kein einziger Betriebsratssitz ging an eine Frau. Damit waren einige Beschäftigten nicht einverstanden und erklärten deshalb die Anfechtung der Wahl wegen eines Verstoßes gegen den Minderheitenschutz.
Das sagt das Gericht
Das Gericht gab der Anfechtungsklage statt und erklärte die Betriebsratswahl für unwirksam. Es liege ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts und des Wahlverfahrens vor. Die Vorschriften aus dem Betriebsverfassungsgesetz und der dazugehörigen Wahlordnung über den Minderheitenschutz könnten nicht dergestalt ausgelegt werden, dass gegebenenfalls nur das dritte Geschlecht davon profitiere, während das im Verhältnis von Frauen und Männern in der Minderheit befindliche Geschlecht gar nicht mit Mindestsitzen berücksichtigt werde. Dafür sprächen die Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 2 BetrVG (vgl. Norm) sowie die Gesetzessystematik.
Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis ohne den fehlerhaften Hinweis auf den zu wahrenden Minderheitenschutz im Wahlausschreiben anders ausgegangen wäre.
ArbG Berlin, Beschluss vom 07.05.2024, Az.: 36 BV 10794/23 (nicht rechtskräftig)
Das bedeutet für Sie
Das Bundesverfassungsgericht hat das dritte Geschlecht „Divers“ anerkannt (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017, Az.: 1 BvR 2019/16), sodass Angehörige dieses Geschlechts den gleichen Schutz vor Diskriminierung genießen wie Frauen und Männer.
Dies hat gravierende Auswirkungen auf das Betriebsverfassungsrecht, weil die Vorschriften im BetrVG und der Wahlordnung zu einer Zeit entstanden, als der Gesetzgeber lediglich zwei Geschlechter im Blick hatte. Zwar können diese Vorschriften durch entsprechende Auslegung weiterhin rechtssicher angewendet werden. Besser und vor allem praktikabler wäre jedoch eine zeitnahe Gesetzesänderung.
So dient beispielsweise § 15 BetrVG der Umsetzung der grundgesetzlich geschützten Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Ausführungsvorschrift § 5 WahlO verdeutlicht, dass das Gesetz (noch) von zwei Geschlechtern ausgeht, Männern und Frauen … „Zu diesem Zweck werden die Zahlen der am Tage des Erlasses des Wahlausschreibens im Betrieb beschäftigten Frauen und Männer in einer Reihe nebeneinander gestellt …“ Dieser Umstand hat in der betrieblichen Praxis in den ganz überwiegenden Fällen keine Auswirkungen, weil das dritte Geschlecht kaum Anteile an der Belegschaft erreichen wird, die einen quotalen Sitz im Betriebsrat gewähren würden. Darüber hinaus wird es dem Wahlvorstand schwer fallen, diejenigen dem diversen Geschlecht angehörenden Personen zu ermitteln, die sich nicht als divers geoutet haben.